Im Nachlass Mellers findet sich ein Dokument, das ausführlich auf diese Skulpturengruppe eingeht. Meller war gebeten worden, sich zur „Geschichte“ der Figurengruppe zu äußern. Er betitelte seine Äußerung mit den Worten: „Zur Gedenkstätte ‚Die Opfer’ in Frechen“. Damit betonte er, dass es sich nicht lediglich um ein Denkmal handelte, sondern er wies seiner Skulpturengruppe eine Bedeutung in einem Sinne zu, der am geeignetsten mit dem Begriff „Gedenk-Raum“ umschrieben werden kann.
Meller platzierte seine Figuren innerhalb einer genau bemessenen Fläche, die in ihrer Ausdehnung durch ausgelegte Pflastersteine definiert wurde. Er schuf somit einen definierten Platz innerhalb des Geländes, auf den er die Figuren legte. Die Wirkung war, dass die Figuren den Eindruck erweckten, als lägen sie auf einer Straße oder auf einem Platz, als Teil einer Inszenierung oder einer Installation oder einer Nachbildung, die an das Kriegsgeschehen erinnert. Wie weiter unten noch deutlich wird, passte er die Größe seiner Skulpturen der des beanspruchten Raumes an.
Als nächstes entwarf er eine Denkmälerkategorisierung: „Nach 1871 baute man Kriegerdenkmäler. Der Krieg war verhältnismäßig kurz gewesen und die Verluste erträglich. In der Rückschau war der Krieg für die Überlebenden das Abenteuer ihres Lebens gewesen. Man pflegte die Erinnerung daran in den Kriegervereinen. Die Denkmäler, die entstanden, waren durchweg ohne jeden künstlerischen Wert. Nicht nur bei uns. Es ist erschreckend, wie viel patriotischer Kitsch in den französischen Städten herumsteht. Nach dem ersten Weltkrieg war die Situation schon eine andere: Der Krieg war lang gewesen, die Verluste groß. Aber der Krieg hatte sich noch an Fronten abgespielt. Deutschland war innerhalb seiner Grenzen heil geblieben. Es war ein Krieg der Soldaten und der Deutsche Soldat hatte die Grenzen geschützt. Man dankte es ihm und baute Ehrenmale, darunter solche von bleibendem künstlerischem Wert. Eines der ergreifendsten die Gruft mit dem toten Soldaten von Bildhauer Bernhard Bleeker in München vor dem Armeemuseum. Und dann kam der Krieg, der alle bisherigen Begriffe von Krieg über den Haufen warf. Die totale Zerstörung und die alles bisherige Maß übertreffende Verluste an Menschenleben. Jetzt baute man Mahnmale. Meist ohne recht zu wissen, wozu sie mahnen sollen. Die besten unter ihnen drücken einfach Trauer um die Toten aus.“
Genau dies führte Meller konsequent aus. In Oberhausen gewann einer seiner Entwürfe für ein II. WK-Denkmal den dritten Preis und wurde dennoch - im Gegensatz zu den vor ihm platzierten Entwürfen - realisiert. Das Mahnmal stellt eine Trauernde dar, die erstaunlich der Figur „Die Mutter“ der Frechener Skulpturengruppe ähnelt.
Sodann ging Meller auf das Frechener Mahnmal ein: „Das Mal in Frechen gehört keiner der drei Kategorien an. Es ist Anklage und Warnung. Angeklagt ist die Unvernunft und die Grausamkeit der Menschen, gewarnt soll werden vor der drohenden Wiederholung des verbrecherischen Spiels. Es hätte mir wohl keine Stadt den Auftrag zu diesem Mal gegeben. Da ich aber glaubte, es gehöre zu den notwendigen Dingen, dieses Mal zu schaffen, begann ich bald nach dem Kriege mit ohne [sic!] Auftrag mit der Arbeit an den Figuren. Ich habe etwa 12 Jahre daran gearbeitet. Ich wollte die Opfer darstellen. Wer waren die Opfer? In den früheren Kriegen war es der Soldat. Diesmal hatte der Tod überall hingegriffen. Mit dem Luftkrieg kam die Front ins Land. Politischer Irrsinn mordete. Millionen kamen auf der Flucht um und Millionen verkamen in der Gefangenschaft. Ich musste versuchen, in nicht allzu vielen Figuren möglichst alle Opfer zu erfassen. So kam ich auf die 5 Typen: Der Soldat, die Mutter mit dem Kind, den Jungen mit der Trommel, den Gefangenen und den Verhungerten. Das plastische Problem war, möglichst starken realistischen Ausdruck mit strenger klarer plastischer Form zu verbinden.“ Meller gab hier eine Deutung der einzelnen Figuren. Er wollte fünf Opfergruppen abbilden.
Während nach diesen Worten klar zu sein scheint, wen er mit der Figur des Soldaten und der Mutter mit dem Kind (Bombenkriegsopfer) meinte, drängt sich die Deutung der anderen Figuren nicht so eindeutig auf. Für wen steht der „Junge mit der Trommel“? Soll es ein Symbol der Jugend (wie im Katalog der Ausstellung in Oberhausen geschrieben), der Flakhelfer, der ‚verführten‘ Hitlerjugend sein? Wurde sie Opfer des Krieges, des Nationalsozialismus, für den sie zuvor ‚getrommelt‘ (geworben) hatte? Ähnliche Interpretationsprobleme ergeben sich auch bei den anderen zwei Figuren „Der Gefangene“ und „Der Verhungerte“. Symbolisiert „Der Gefangene“ die Opfer des ‚mordenden politischen Irrsinns‘? Sind es somit politische Gefangene? Oder sind es deutsche Kriegsgefangene, die in der Internierung starben? Und weiter: Welche Gruppe steht für „Der Verhungerte“? Heute steht das Thema im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus für den „KZ-Tod“. Diese Gruppe erwähnt Meller aber in seinem Text nicht, dafür aber ‚Millionen, die auf der Flucht umkamen‘, womit zweifellos deutsche Flüchtlinge und Vertriebene gemeint sind. Wollte er ausgerechnet diese beiden Figuren international oder universal gedeutet wissen, während „Der Soldat“ ausweislich des Stahlhelms ein deutscher Soldat ist und der Junge mit der Trommel ebenfalls nur in einem deutschen Kontext verständlich ist? Das ist nicht stimmig. Andererseits passt das Symbol „Der Verhungerte“ sowohl inhaltlich als auch ikonografisch nicht als Hinweis auf die deutschen Vertriebenen. Somit ist zu konstatieren, dass auch Mellers Einlassungen es nicht möglich machen, alle Figuren zweifelsfrei zu deuten.
Meller wollte es jedoch bei einer bloßen privaten Arbeit nicht belassen, sondern strebte eine Aufstellung der Figuren an: „Während der Jahre der Arbeit kam mir dann doch der Gedanke, ob es eine Möglichkeit gäbe, den Figuren in der Öffentlichkeit einen Platz zu geben und sie dort in dem von mir gewollten Sinne wirken zu lassen. Es bot sich anscheinend eine Gelegenheit in einer zerstörten alten Kapelle in Weiß, nicht weit von meinem Atelier. Ich machte dazu Vorschläge und der Pastor von Weiß bemühte sich darum bei den zuständigen Behörden die Genehmigung und die erforderlichen Mittel zu bekommen. Die Figuren wollte ich schenken. Doch es vergingen Jahre, ohne dass sich irgendeine der zuständigen Stellen für die Sache interessierte. Ich hatte inzwischen alle Figuren fertig und in Beton gegossen. Und nun lagen sie in meinem Garten und nur sehr wenige Besucher sahen sie.“
Heute liegt dieser Guss, der auf Grund des Längenmaßes eindeutig identifiziert werden kann, auf dem Friedhof in Köln-Rodenkirchen an der Sürther Straße. Der Zustand der Figurengruppe ist bedenklich. Die Figuren vermoosen stark und sinken zudem langsam in den Boden ein. Die einzelnen Figuren in Frechen sind größer. Sie wurden speziell auf die Frechener Gegebenheiten zugeschnitten, wie Meller schreibt: „Bis eines Tages mein lieber Freund Otto Lindemann mir den Vorschlag machte, auf der zu der Zeit im Entstehen begriffenen Anschüttung von Abraum der Quarzsandgrube in Frechen eine würdige Stätte für meine Toten zu schaffen. Ich war über den Vorschlag sehr glücklich. Wir dachten zuerst daran, einen überdachten Raum aus Holz oder Beton zu schaffen, doch nach verschiedenen Entwürfen kam ich zu der Überzeugung, dass eine Aufstellung ohne Überdachung besser sei und ich konnte auch Herrn Lindemann davon überzeugen. Die Lösung war dann die heutige Form: die vorgeschobene Terrasse unter dem Gipfel, die den Blick von oben auf die Gruppe der Toten ermöglicht.
Nun kam für mich eine neue Arbeit: Die Figuren hatten eine Größe von 2,20 Meter. Für die Kapelle in Weiß wäre es das richtige Maß gewesen. Für den freien Raum auf dem Berg in Frechen waren sie zu klein. Ich habe also alle fünf Figuren ein zweites Mal modellieren und in Beton gießen müssen. Die jetzige Größe ist 2,80 Meter. Hatte ich bei den ersten Figuren Beton als Material deswegen gewählt, weil es für mich kostenmäßig erschwinglich war, so waren bei der zweiten, größeren Fassung doch andere Gründe dafür maßgebend, wieder Beton zu nehmen. Ich hatte inzwischen Gefallen an dem Material gefunden, und fand es in der Wirkung gerade richtig für das, was ich aussagen wollte. Aus demselben Grund wählte ich für den Platz auf dem die Figuren liegen, als Bodenbelag keine Steinplatten, sondern ganz gewöhnliche Straßenpflastersteine. Damit war auch im Material jede denkmalhafte Feierlichkeit vermieden.“
Am heutigen Standort sind diese Straßenpflastersteine gerade noch sichtbar. Sie wurden wohl zusammen mit den Figuren abgetragen und hier neu verlegt. Sie stellen sie jedoch keinen beliebigen Untergrund dar, sondern sind Bestandteil des Mahnmals, des Gedenk-Raums, den Meller absichtsvoll schuf. Derzeit wird diese Pflasterung immer stärker überwuchert, wodurch ein Teil der beabsichtigten Wirkung des Ensembles verschwindet.
Meller plante des Weiteren für den ursprünglichen „Gedenk-Raum“ eine Begrünung: „Es ist in Bezug auf die Bepflanzung noch einiges zu korrigieren: dem gepflasterten Rechteck ist durch Übergreifen der Bepflanzung über den Rand etwas von der starren Form zu nehmen. Ebenso soll der herumlaufende Plattenweg zum Teil überwachsen. Wenn ich mir vorstelle, dass die Bäume und Sträucher heranwachsen, bin ich über die ganze Anlage sehr glücklich und danke meinen zu früh verstorbenen Freund Otto Lindemann noch über seinen Tod hinaus für die mir gegebene Möglichkeit, mein Werk öffentlich zu Wort kommen zu lassen.“
Für Meller stellte diese Figurengruppe eines seiner herausragenden Werke nach 1945 dar: „Ich bin glücklich, dass diese Figuren, die wie kaum eine andere Arbeit ein Stück meiner selbst sind, nun endlich diesen einzigartig schönen Platz gefunden haben.“ Über ein Jahrzehnt befand sich die Figurengruppe auf einer renaturierten Abraumhalde. Dann musste sie der Neugestaltung des gesamten Geländes weichen. Bereits Anfang der 1970er-Jahre wurde auch darüber berichtet, dass die Figurengruppe „des öfteren von Rowdys heimgesucht worden“ sei. Der Ort verwilderte zusehens.
Schließlich wurde sie nach St. Audomar auf den alten Friedhof verlegt. Sie war nie offizielle Gedenkstätte der Stadt. Entsprechende Veranstaltungen am Totensonntag fanden an dem Denkmal auf dem neuen Friedhof statt. Das Mahnmal selbst ist kein Siegerentwurf aus einem von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerb, sondern ein zunächst auf Eigeninitiative des Künstlers gefertigtes, dann privat erworbenes, später in den Besitz der Stadt übergegangenes Denkmal.
Hans Hesse